Ukraine-Krieg, Vermögensillusion, Inflation und die drohende Zinskrise

Vor dem Hintergrund der stark gestiegenen Inflationsrate und den vielfältigen negativen Auswirkungen des Ukraine-Kriegs weisen nun zunehmend auch Politiker darauf hin, dass den Deutschen ein erheblicher Wohlstandsverlust droht. Der starke Anstieg des Preisniveaus, insbesondere der Energie- und Rohstoffpreise, führt dazu, dass die Kaufkraft für andere Zwecke nicht mehr zur Verfügung steht. Die insgesamt hohe Inflationsrate führt zu einem Rückgang der Reallöhne und entwertet die oft für die Altersvorsorge aufgebauten Vermögenswerte, wie Bankguthaben, Staatsanleihen und Versicherungen. Durch die hohen Inflationsraten drohen nun auch steigende Zinssätze („Zinskrise“) mit der Konsequenz fallender Preise von Immobilien, insbesondere solche ohne inflationsindexierte Mieten, und der Aktien von Unternehmen, die keine hohe Preissetzungsmacht aufgrund fehlender Wettbewerbsvorteile aufweisen. Speziell hochverschuldeten Unternehmen droht durch die Verbindung von Stagflation und hohen Zinssätzen die Insolvenz.

Die nun erkennbare unerfreuliche wirtschaftliche Entwicklung mit einem Verlust von Kaufkraft und realem Vermögen ist (wie so oft) das Resultat eines seit langem bestehenden und in der Forschung bekannten Risikos, das nur ignoriert wurde (Phänomen der „Risikoblindheit“). Viele Menschen sind von einem Vermögensstand ausgegangen, der bei einer genaueren Betrachtung gar nicht existiert hat. Man kann hier von einer Vermögensillusion sprechen (Gleißner, 2019) und bei einer etwas genaueren Betrachtung drei Facetten unterscheiden:

  • Geldillusion: Die europäische Zentralbank hat primär zum Zweck der Finanzierung hochverschuldeter Länder der Eurozone seit 2008 eine extrem expansive Geldpolitik betrieben, Staatsanleihen im großen Stil angekauft und die Zinsen seit vielen Jahren quasi auf Null fixiert. Die Geldmenge ist viel stärker gestiegen als das Volkseinkommen und das Produktionspotenzial. So wurde das Potenzial für eine Geldentwertung (Inflation) geschaffen, wobei das reduzierte Angebot und die aufgestaute Nachfrage am Ende der „akuten“ COVID-19-Pandemie erwartungsgemäß Auslöser der Inflationswelle wurde, die durch den Ukraine-Krieg und die noch weiter steigenden Energiepreise verschärft (aber durchaus nicht primär verursacht) wurde. Die Besitzer von Geld und nominalen Forderungen, Staatsanleihen oder Bankguthaben, mussten durch die zunehmende Geldmenge mit einer Entwertung ihrer Vermögensposition – ihres Anteils an der Geldmenge – früher oder später rechnen (verstärkt noch durch Kursverluste des Euros gegenüber dem US-Dollar wegen der im Vergleich zur amerikanischen Notenbank besonders zögerlichen Zinspolitik der EZB).
  • Vermögenspreisillusion: Die Eigentümer realer Vermögensgegenstände, wie Anteile an Unternehmen oder Immobilien, sind potenziell gegen Inflation besser geschützt, sofern der Ertragsstrom ihrer Assets mit der Inflation steigt. Die steigende Geldmenge und die niedrigen Zinssätze haben allerdings in den letzten Jahren zu einem starken Anstieg der Preise von Immobilien und auch vieler Aktien geführt, die weit über die Zunahme ihres fundamentalen Ertragswerts hinausgehen. Ursache dafür ist, dass viele Investoren den Nullzinssatz der Anleihen bei der Bewertung z.B. von Immobilien zugrunde gelegt haben und damit hohe Immobilienpreise letztlich mit überbewerteten Staatsanleihen gerechtfertigt haben. Die Preise sind schneller gestiegen als die Cashflows und insgesamt die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Es wurde von den meisten Investoren aber übersehen, dass den steigenden Preisen gar kein entsprechender Anstieg von Erträgen gegenübersteht und sich damit ein Preis-zu-Wert-Verhältnis (P/W) deutlich über 1 eingestellt hat. Hier spricht man von Vermögenspreisillusion, weil man sich bei alleiniger Betrachtung der Marktpreise – statt der fundamentalen Werte – seine Vermögenslage „schön rechnet“: Tatsächlich kann man leicht erkennen, dass z.B. eine Verdreifachung des Preises einer 100 m² Wohnung keinen echten Vermögenszuwachs im gleichen Umfang darstellt, weil man durch den Verkauf kaum einen echten Nutzenzuwachs generieren kann (legt man den Verkaufserlös nämlich wieder in eine andere Immobilie an, erhält man eben genau so viel wie vorher, nämlich 100 m² Wohnfläche).
  • Fehlende Risikovorsorge: Hinzu kommt, dass sowohl auf Ebene des Staates als auch vieler Unternehmen die scheinbar zur Verfügung stehenden Geldsummen, z.B. für konsumtive Zwecke, überschätzt wurden, weil notwendige Ausgaben in Risikobewältigungsmaßnahmen unterblieben. Man hat eine Vielzahl relevanter Risiken ignoriert. Mit dem Argument der sogenannten „Friedensdividende“ wurden z.B. in Deutschland notwendige und zugesagte Ausgaben für die Bundeswehr, die das öffentliche Gut Sicherheit bereitstellt, nicht getätigt. Auch andere Investitionen in die Robustheit des Staates sind unterblieben. Sowohl der Staat als auch die Unternehmen haben im Rahmen von Single-Sourcing-Entscheidungen risikoerhöhende kritische Abhängigkeiten akzeptiert – also auch hier an sich kurzfristig Vorteile (z.B. durch die Belieferung mit günstigem russischem Gas) realisiert, ohne die damit verbundenen Risiken zu beachten. Durch das Ignorieren der in einer Welt mit Unsicherheit angemessenen Kosten für Risikobewältigung, quasi der erforderlichen Versicherungsprämie, wurde das für andere Zwecke verfügbare Einkommen überschätzt.

Fazit: Die aktuellen Realitäten zeigen, was an sich schon lange klar war: die Risiken, denen Unternehmen und auch Privatpersonen in Deutschland ausgesetzt waren, haben sich in den letzten Jahren erhöht. Neben einer Zunahme geopolitischer Risiken war und ist auch die expansive Geldpolitik der Zentralbank (und die drohende Haftungsunion in der europäischen Union) klar risikoerhöhend. Oft wurden bestehende Risiken ignoriert und Investoren haben sich die Vermögenslage „schön gerechnet“. Weder der Staat, noch Unternehmen, noch Investoren haben sich mit „robusten Strategien“ befasst (siehe dazu Gleißner/Kreuser/Kamarás, 2017). Der nun schon erkennbare und voraussichtlich weiter anhaltende Verlust von Vermögenswerten sollte aus dieser Perspektive betrachtet werden: Die Preise vieler Vermögensgegenstände waren und sind relativ zum fundamentalen Wert erhöht. Dies zu übersehen, kann man als Vermögensillusion bezeichnen.

Weiterführende Literatur

von Werner Gleißner

05. September 2022

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